Imperial Theater
Wer vor dem heutigen Imperial Krimitheater am Anfang der Reeperbahn steht und zurück auf die Entstehungsgeschichte schauen will, muss den Blick nach links über die Reeperbahn schweifen lassen. Hinüber zu dem Ort, an dem heute die tanzenden Türme ihren Stehtanz aufführen.
Bis zum Bau der Türme stand hier das Gebäude einer ehemaligen Bowlingbahn, das den Mojo Club, den Quatsch Comedy Club und das SKAM beherbergte. Und: Das das Musical „Grease“, das hier zum ersten Mal in Deutschland aufgeführt wurde – unter anderem von Frank Tannhäuser, dem heutigen Betreiber des Imperial Krimitheaters.
Ein echter Hot Spot der Kulturszene.
Wirkliche Planungssicherheit existierte in den Räumlichkeiten mit einer Kündigungsfrist von einem Monat jedoch nicht. Zu der Zeit entdeckte Frank auf der gegenüberliegenden Seite der Reeperbahn ein geschlossenes Pornokino.
Und so kam es 1994 zu dem Ortswechsel – nach längeren Umbauarbeiten. Denn in den Innenräumen blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Von dem beigebräunlichen Interieur im 70er Jahre Stil ist nichts mehr übrig geblieben und – keine Sorge – auch die Sitze wurden ausgetauscht. Sie stammen aus dem Planetarium in Jena und sind garantiert spermafleckenfrei. Also höchstwahrscheinlich. Wer weiß schon, wie es im einem Planetarium bei schummerigen Licht zu sich geht.
Franks Großvater aus Kassel war anfangs entsetzt. „Auf der Reeperbahn? Da ist doch jeden Abend Ganovenball!“ – erzählte Frank im Podcast „Kiezmenschen“.
Nach dem ersten Besuch hatte sich das Bild jedoch korrigiert und wer die Reeperbahn kennt, weiß, dass hier (nur noch) selten Ganoven ihre Balltänze aufführen.
Weiter ging es an der neuen Adresse mit Musicals, jedoch wurde die Konkurrenz mit zahlreichen Produktionen immer größer, aufwändiger und teurer. Eine Spirale, in der sich das kleine und familiäre Musiktheater irgendwann nicht mehr mitdrehen konnte und wollte, sodass umgeschwenkt wurde: Auf Krimis. Erstes Stück war die „Frau in Schwarz“ von Stephen Mallatratt nach einer Novelle von Susan Hill. Kam gut an. Die „Todesfalle“ von Ira Levin ebenfalls, dann gab es „Arsen und Spitzenhäubchen“ von Joseph Kesselring auf die Augen, Ohren und Bretter und bei „Das indische Tuch“ von Edgar Wallace drehten die Leute förmlich durch. Schnell stand fest: Mit Krimis geht’s weiter.
Wer rückblickend in das Programm des Theaters schaut, findet viele Stücke von Agatha Christie und Edgar Wallace. Warum? Erstens, weil das Publikum den Zeitgeist mag und zudem – ganz pragmatisch – weil die Stücke ohne wilde und aufwändige Special-Effects auskommen. Bei einem Mord reicht es, wenn es Peng macht und sich der/die DarstellerIn ans Herz fasst. Gehirn muss nicht an die Wand fliegen. Den ZuschauerInnen ist klar: Der/die ist unterwegs zu den Engeln.
Bei einem Publikum von Enkel bis Oma soll die herzschwächere Zielgruppe ehrlich gesagt auch nicht vor Schreck vom Sessel rutschen.
Eine Besonderheit übrigens: Wenn man in die Besetzung der Stücke schaut, tauchen über Jahre hinweg immer wieder gleiche Namen auf. Das Imperial ist anscheinend ein Ort, an dem man sich wohlfühlen kann. Und das nicht nur auf der Bühne. Barmann Rainer ist schon seit der ersten Stunde dabei.
Ein charmanter Nebeneffekt: Dadurch werden die Zusammenarbeit und auch die Proben leichter – man kennt sich, mag sich und weiß wie wer tickt.
Die Kostüme der DarstellerInnen werden größtenteils selbst geschneidert. Nur aufwendigere Männerkostüme gehen raus an den Schneider. Auch die Aufbauten werden in der eigenen Werkstatt selbst gebaut. Früher, in der Lerchenstraße aufgrund von Platzproblemen im liegen und in der Hoffnung, dass später stehend alles zusammenpasst, heute in einer geräumigen Halle in Billbrook. Dennoch muss viel geplant werden, denn die Bühne ist klein, die Stauräume sind begrenzt und somit wird viel Tetris gespielt.
Zu den Stücken selbst: Frank reizt das Neue. Ein Stück nehmen, es bühnengerecht verändern, ohne „dem Alten dabei in den Arsch zu treten.“
Wie zum Beispiel bei Dracula. Im Original ineinander verschachtelte Tagebucheinträge, die auf der Bühne so nicht funktionieren würden. Daher: Umschreiben, jedoch den Kern behalten.
Und wenn ein Stück fertig ist? Er sieht sich nicht als Bewahrer des Ist-Zustandes. Nach einem Stück geht es weiter, der Blick geht nach vorne.
Wer das Theater zum ersten Mal besuchen will und sich Gedanken über die Abendgarderobe macht: Einfach kommen wie man sich am wohlsten fühlt. Auf St. Pauli kann eh jede/r das tragen, was gefällt. Die Maxime: Die Leute sollen eine gute Zeit verbringen.
Insgeheim wünscht sich Frank eine Theaterkultur, wie sie in England verbreitet war und noch teilweise ist: Gehe ich nach dem Einkauf direkt nach Hause, oder vorher noch mal ins Theater? Bodenständig, unprätentiös und klassenübergreifend.
Ein weiter Bogen zum Anfangsort und auch weg vom Imperial …
Dort, an der Reeperbahn Nr. 1, wo heute die tanzenden Türme stehen und vorher die Bowlingbahn, stand 150 Jahre lang der Trichter. Gebaut 1805, ein Ort, der zum bürgerlichen Vergnügen einlud. Anfangs ein hölzerner Torpavillon, in dem kleine Erfrischungen zu sich genommen werden konnten, wurde er zum Ort für Promenaden-und Gartenkonzerte, Tanzveranstaltungen und artistische Vorführungen.
Um den Trichter herum lag ein Garten mit spärlicher Beleuchtung und Lauben, die bei schummerigen Licht gerne von Liebespärchen aufgesucht wurden.
Ende des 19. Jahrhunderts, nach einem Besitzer- und Namenswechsel und vielen Umbauten begann eine neue Epoche. Mit künstlicher Grotte für ein Orchester, einem Hauptsaal, dem Garten mit Platz für rund tausend Gäste, Aussichtsturm und der beleuchteten Kuppel des Trichters, die über die Reeperbahn strahlte.
Der riesige Betrieb trug sich jedoch nicht lange und klamme Portemonnaies – oftmals auch zu klamm für die günstigen Eintritte ab 20 Pfennig – der Menschen nach dem ersten Weltkrieg, Wirtschaftskrisen und Inflation führten dazu, dass das Gebäude immer weiter verfiel.
1926 wurden Teile abgerissen und das Kino „Schauburg St. Pauli“, sowie das Großvarieté „Trichter“ eingerichtet. Stars wie Josephine Baker und Anita Berber traten auf und weitere Stars gaben sich die berühmte Klinke in die Hand. Getanzt wurde oftmals splitterfasernackt. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten – ab dem Zeitpunkt war Nackttanz nicht mehr erwünscht.
Zudem litt die kulturelle Vielfalt, da nur noch Künstler deutscher Herkunft sowie aus annektierten oder verbündeten Staaten eine Auftrittserlaubnis erhielten.
Während der Bombennächte im Zweiten Weltkrieg wurde der Trichter zwar 1943 stark beschädigt, jedoch lebte das Revueprogramm noch mal auf und im Keller wurde ein Jazzlokal eingerichtet.
1958 schloss der Trichter dennoch seine Türen – anscheinend hingen die Leute lieber vor den aufkommenden Flimmerkisten im Wohnzimmer rum, als außerhalb der eigenen vier Wände Revues zu besuchen. 1962 folgte der Abriss und der Neubau der Bowlingbahn – im Stil des Brutalismus, wodurch die Zukunft eines modernen St. Paulis zum Ausdruck gebracht werden sollte. Hielt 20 Jahre, bis das Gebäude nach und nach verfiel und den tanzenden Türmen weichen musste. Kultur findet im Mojo Club – der die letzten Jahre im Gebäude der Bowlingbahn residierte – nun nicht mehr oberhalb, sondern unterhalb der Erde statt.
Die Geschichte des Trichters ist so umfangreich, darüber können Bücher geschrieben werden. Oder Hefte – wie das „bauheft 08 – Beim Trichter, Reeperbahn 1“ von Eva Decker, Florian Afflerbach & Jörg Schilling. Wärmstens zu empfehlen mit vielen, vielen Infos und tollem historischen Bildmaterial.