Varieté Alkazar

Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters, von daher überspringen wir diese Diskussion. Für mich gehört dieses Gebäude auf jeden Fall zu den sehr interessanten Bauten auf St. Pauli. Und das hat wenig mit den diversen Spiegel-TV-, RTL II-, … Reportagen zu tun, die sich um den Kiez-Penny drehen. Eher mit der Geschichte des Gebäudes.

Lust auf einen kleinen Schlenker durch’s Netz? Dann gib mal „Varieté Alkazar“ bei einer Bildersuchmaschine Deiner Wahl ein. Abgesehen von der Leuchtreklame haben mich die Innenaufnahmen des Varietés fast vom Hocker gehauen, als ich davon erfuhr (vielen Dank an dieser Stelle an Eva Decker, Historikerin und Leiterin des ehemaligen St. Pauli Museums). Ein Prunksaal über mehrere Stockwerke mit riesigem Kronleuchter mit Wasserfontänen und einer Hebebühne für die TänzerInnen.

Aber eins nach dem anderen und die Uhren zurückgedreht ins Jahr 1926, als das Haus seine Türen öffnete.
Ausgestattet mit damalig modernster Technik ließ sich die Hebebühne innerhalb weniger Minuten als Eisbahn, Tanzboden oder Wasserbassin hochfahren, in dem sich barbusige Damen zu einem Wasserballett formierten.
Alle 15 Minuten versprach Arthur Wittkowski – Betreiber und Show-Manager des Varietés – ein neues Bühnenbild. Bis zum Finale der Show, bei dem ein Kronleuchter mit unbekleideten Tänzerinnen von der Decke abgesenkt wurde.
Internationale Stars der zwanziger Jahre wie beispielsweise Josephine Baker und Anita Berber traten hier auf.

1935 war jedoch Schluss damit. Wittkowski hatte sich mit der NSDAP überworfen und wurde nach und nach aus seinem Unternehmen gedrängt, bzw. im Zuge von mehrfacher Schutzhaft verlor er langsam aber sicher die Kontrolle über das Alkazar – die ungeliebte Konkurrenz intrigierte flankierend. Georg Leopold wurde neuer Direktor. Oder besser gesagt und passend zum damaligen Sprachjargon: Der neue „Betriebsführer“.

Zudem lag dem NS-Regime der Name „Alkazar“ aufgrund der namentlichen/thematischen Nähe zum Spanischen Bürgerkrieg quer. Ein zu buntes Treiben sowieso, weswegen nicht nur im Alkazar, sondern auf ganz St. Pauli die kulturelle Vielfalt beschnitten wurde.
Der neue Name: „Allotria“. Was so viel wie Spaß oder vergnüglicher Unfug bedeutet und Ergebnis eines Preisausschreibens war. Übrigens auch passend zu dem Erscheinen des gleichnamigen Films mit Heinz Rühmann.
Und mit einem „A“ als Anfangsbuchstaben, sodass der Name vorne im Telefonbuch zu finden war – schon damals war es wichtig, gut und schnell gefunden zu werden. Suchmaschinenmarketing à la 1935.

Mit dem neuen Direktor wurde das Programm etwas „moderater“, lief jedoch auch während des Krieges weiter, denn das Gebäude blieb von den Bombenangriffen auf Hamburg verschont.

Das wirtschaftliche Aus kam 1958. Fernsehen holte das Vergnügen ins Wohnzimmer und war angesagter als raus und auf den Kiez zu gehen. Aus dem Varieté wurde nach der Zwangsversteigerung ein Bierhaus.

Und heute: Der Kiez-Penny. Mit netten Punkern vor der Tür und Tauben finden’s super.

Stand: Januar 2022