PlanBude
Klein und unscheinbar steht das kleine Haus vor der riesigen Brachfläche der ehemaligen Esso-Häuser am Spielbudenplatz, mahnt zur Einhaltung des „St. Pauli Codes“ und macht die Tür auf zu einem richtig großen Thema – viel größer als die Brachfläche selbst: Was für eine Stadt wünscht Du Dir? Oder: Alternative Planungsprozesse für städtische Entwicklungen. Möglichst unabhängig von Investoren und Politik, dafür basierend auf den Bedürfnissen und dem Wissen der im Viertel lebenden Menschen.
Aber eins nach dem anderen. Ende 2013 wurden die Esso-Hochhäuser wegen Einsturzgefahr geräumt und für unbewohnbar erklärt. Viele Menschen verloren über Nacht ihr Dach über dem Kopf und viele Läden ihre Existenzgrundlage. Schon ein riesiges Thema für sich. Wer mehr über den Kampf um die Esso-Häuser und das Thema Verdrängung auf St. Pauli erfahren möchte: In ihrer Langzeitdokumentation „buy buy st. pauli“ begleitete ein Filmteam – bestehend aus Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg – den Kampf der BewohnerInnen der Esso-Häuser und ihrer UnterstützerInnen.
CP Krenkler portraitierte für ihre fotografische Diplomarbeit „Buy, buy – St. Pauli“ unter anderem Menschen aus den Esso-Häusern.
Dieser Konflikt und die Frage nach der Art und Weise der Bebauung des Geländes führte zur Entstehung der PlanBude. Einem „Bottom-Up“ Planungsprozess, der informierte, beriet, motivierte, inspirierte und das Wissen vieler Menschen aus dem Viertel sammelte, extrahierte, verdichtete, zuspitzte, dies zu einer bedürfnisorientierte Lösung für das Viertel entwickelte sowie präsentierte – als (Roh)-entwurf des Stadtteils und als Basis zur Auslobung des Wettbewerbs zur Bebauung des Geländes.
2.300 Beiträge in Form von Zeichnungen, Modellen, etc. kamen so zusammen und machten Eigentümer und Investorin – die bayerische Hausbau – während des Planungsprozesses zu stillen Beobachtern.
Wer sich jetzt fragt „Hmm, so etwas kenne ich doch von irgendwoher?“. Richtig. Einen ähnlichen Prozess gab es schon mal auf St. Pauli. Und zwar bei der Entwicklung von Park Fiction.
Und auch hinter der PlanBude stecken – neben vielen anderen – die gleichen Köpfe, wie damals, bei der Entwicklung des Parks.
Aber zurück an den Spielbudenplatz.
Aus der Essenz der 2.300 Beiträge wurde der St. Pauli Code entwickelt. Sieben Leitlinien, die 2015 von der PlanBude und den Menschen im Viertel entwickelt wurden: Unterschiedlichkeit statt Homogenität, Kleinteiligkeit, Günstig statt teuer, Originalität und Toleranz, Aneignung und Lebendigkeit, Experiment und Subkultur, Freiraum ohne Konsumzwang.
Aus dem Planungsprozess und den Leitlinien entstanden konkrete Ergebnisse für die Bebauung des Areals: Keine Eigentumswohnungen, rund 40 % Mietwohnungen frei finanziert, ca. 60 % geförderter Wohnungsbau, günstige Räume für Nachbarschaft, Innovation, Subkultur wie z.B. für das Molotow, die Kogge, FabLab, Stadtteilkantine u.v.m. und soziale Versorgung, ein öffentliches Erdgeschoss, öffentlich zugängliche Dachlandschaften und ein öffentlicher Stadtbalkon. Sie wurden auf Stadtteilkonferenzen präsentiert, diskutiert und dienten als Grundlage für die Verhandlungen zwischen Bezirk und Eigentümer, was in die Aufgabenstellung des städtebaulichen Wettbewerbs einfließen muss.
Eigentümer und Investorin wünschten sich dagegen ein Hotel und einen höheren Gewerbeanteil.
Und das alles wurde in dem kleinen Häuschen gemacht/geplant/gedacht? Nein. Der Planungsprozess ist abgeschlossen. Das kleine Haus mahnt jedoch weiterhin zur Einhaltung des „St. Pauli Codes“.
Während des Planungsprozesses von 2014 bis 2015 standen ein paar Meter weiter mehrere Container und luden die Menschen zum Mitmachen und -planen ein.
Die PlanBude verknüpfte dort die Felder Stadtplanung, Architektur, Bildende Kunst, Urbanismus, Stadtteilkulturarbeit, Soziale Arbeit und Soziologie mit der Straße, mit der bewohnten Stadt, mit dem lokalen Wissen – so beschreibt sich die PlanBude in ihrem Konzept.
Die Schwelle zur Teilnahme sollte möglichst niedrig sein, damit sich alle Personengruppen beteiligen und ihr Wissen einbringen können. Es gab Vorträge, Workshops, und, und, und.
Und nicht nur in den Containern wurde geplant. Die PlanBude fand auch in sozialen Einrichtungen, Moscheen, Kirchen, Plätze, Parks, Supermärkte und Kneipen statt und funktionierte sie zu improvisierten Planungsstudios um.
Und nun? Warum wird nicht gebaut?
Den Wettbewerb haben im September 2015 die Architektenbüros NL und BeL gewonnen. Und auch der Name für das Areal steht fest: „Paloma-Viertel“.
Dennoch bewegt sich seit Jahren nichts. Lärmschutzthemen zwischen dem Musicaltheater und Bauherrin sind noch nicht geklärt. Erst dann kann die Stadt einen geänderten Bebauungsplan aufsetzen und dieser ist Voraussetzung für den Baubeginn.
Daher werden wir noch einige Zeit auf die Brachfläche schauen dürfen.
Wer sich jetzt noch mal fragt „Hmm, das kleine Haus kenne ich doch irgendwoher?“. Noch mal richtig. Es stand vorher – als Minipudel – auf dem Gelände des damals abgebrannten Pudel als Protestbau, um eine kommerzielle Verwertung des Geländes zu verhindern, da ein Verkauf des Grundstücks im Raum stand.
Der Golden Pudel Club ist wiederhergestellt, er konnte wieder öffnen und der Wiederaufbau ist mittlerweile abgeschlossen.
Der Minipudel hat seinen dortigen Einsatz erfolgreich beendet und wurde abgebaut. Oder besser gesagt: Versetzt. An seine neue Wirkungsstätte am Spielbudenplatz mit neuem Auftrag.
Du willst noch mehr erfahren? Hier ein interessanter Artikel von sub\urban.zeitschrift für kritische stadtforschung: „PlanBude Hamburg – Kollektives Wissen als Grundlage von Stadtgestaltung“ (PDF)
Stand: September 2022